Gargano in Puglia ist die Bezeichnung für die Gegend des Sporns des italienischen Stiefels. Von Umbria sind wir nun 500 Kilometer entfernt, und damit bereits ziemlich weit im Süden Italiens angekommen, wenn auch nur im Norden Puglias. Wir fuhren zunächst in Richtung Meer und dann die autostrada adriatica in Richtung Bari. Immer schön am Meer entlang, eine herrliche Strecke. Als wir dann von der Autobahn abbogen waren wir von der Landschaft zunächst etwas enttäuscht. Denn hier war alles sehr flach und karg, was sich dann aber mit dem Erreichen des Gargano sofort änderte.
Wir passierten zwei Salzwasser-Binnenseen und Cagnano Varano, ein Dorf, welches eher einer Geisterstadt ähnelte. Viele der Häuser waren einfach nicht fertig gebaut und deshalb unbewohnt. Doch gleichzeitig trafen wir auf die ersten Hügel und Olivenbäume. Olivenbäume soweit das Auge reicht. Denn in Puglia stehen 40 Millionen Stück davon. Ganz klar, dass wir uns hier mit Öl für Zuhause eindecken. So langsam wird unser Auto voll. Wein hatten wir bereits in Umbertide in Umbria auf dem Markt gekauft und nun einen Fünf-Liter-Kanister leckeres Olivenöl.
In der Ferne sehen wir dann das Städtchen Rodi Garganico mit etwa 3.700 Einwohnern, welches für die nächste Woche unser Zuhause sein wird.
Unsere Unterkünfte hier in Italien zu finden ist immer eine spannende Angelegenheit. Oft gibt es keine exakte Adresse, sondern nur einen Ortsteil, der aber wiederum nicht ausgeschildert ist. So auch hier. Nachdem die Gasse, in die wir gefahren sind, immer enger wird und wir immer noch kein Schild gefunden haben, wenden wir und fahren einfach mal in eine Einfahrt rein, dort wo wir denken, dass es sein müßte. Und siehe da, das Haus entsprach dem Foto im Internet. So langsam bekommt man ein Gefühl dafür. Wir haben ein Appartement mit Blick auf den Hafen von Rodi Garganico, unter uns liegen Orangen- und Zitronenbäume. Frische Feigen gibt es auch, unser Vermieter Claudio bringt uns gleich eine große Schale davon. So gut wie hier schmecken sie sonst nirgendwo, herrlich süß und saftig.
Vor vielen Jahren waren wir bereits in Puglia, haben aber aus Zeitgründen den Gargano auslassen müssen. Das wird nun nachgeholt. Und wie sich herausstellt sollte man hierfür auch ein wenig mehr Zeit mitbringen. Der Gargano ist ein wichtiger Naturschutzpark im Süden Italiens, Rodi liegt am Rande. Von hier aus ist man in etwa eine halbstündigen Autofahrt im tausendjährigen Foresta Umbra, einem Paradies für Spechte, Rehe, Luchse, Wölfe und vor allem zahlreiche Baum- und Pflanzenarten. Selbst Orchideen gibt es hier. Und es ist auch etwas kühler, sodass der Wald gerne für Picknicks genutzt wird. Ebenso werden zahlreiche Wanderwege angeboten.
Wir fahren zunächst in den kleinen Ort Vico del Gargano, oben auf einem Berg. Wir besichtigen die Altstadt, die aussieht wie ein Freiluftmuseum. Überall hängen Bilder an den Hauswänden, bemalt mit Motiven aus der Natur. Und eine kleine Kussgasse, die Vicolo del Bacio, gibt es auch, allerdings hatte ich mir diese etwas romantischer vorgestellt. Außerhalb des Ortes wurde uns dann die Pasticceria Pizzicato empfohlen. Dort angekommen sind wir begeistert von den leckeren Törtchen und Süßigkeiten. Wir probieren zwei davon und werden nicht enttäuscht. Auch das Aperitivo-Angebot sieht hervorragend aus, aber leider geht nur eines zur Zeit.
Von Rodi aus führt eine geschwungene Küstenstraße zunächst nach Peschici und dann weiter nach Vieste.
Unterwegs gibt es immer mal einen Wachturm oder eine Fischfangkonstruktion, die sogenannten trabucchi, zu sehen. Zwischen den Felsen befinden sich schöne Sandstrände, die man meist durch kleine Schotterstraßen oder zu Fuß erreicht. In Vieste angekommen treibt uns der Hunger in ein kleines, einfaches Fisch-Bistro, und wir essen eine wunderbare Frittura, gemischten frittierten Fisch. Man schmeckt geradezu die Frische, mit der das Essen auf den Tisch kommt. So habe ich mir das vorgestellt.
Nach Vieste mit dem berühmten Pizzomunno, einen etwa 25 Meter hohen Felsen direkt am Strand, beginnt nun aber erst der richtig tolle Küstenabschnitt in Richtung Mattinata. Mit dem Auto sollte man etwas Zeit einplanen, denn hier gibt es zahlreiche Haltepunkte entlang der Straße, die immer wieder sensationelle Blicke aufs Meer zulassen. Besonders schön ist die Bucht San Felice mit dem Arco di San Felice.
Azurblaues Meer, weiße Klippen, Aleppo-Kiefern an den Hängen, Grotten und ein paar Boote. Alternativ ist es auch möglich, eine etwa dreistündige Bootstour entlang der Küste zu machen, die beispielsweise in Vieste startet.
Eines Nachmittags haben wir den Binnensee Lago di Varano umrundet. Kleine Stichstraßen führen an den See, auf dem viele Fischerboote liegen.
Auf der einen Seite befindet sich hinter einem Kiefernwäldchen das Meer mit einem langen Sandstrand, der restliche Teil des Sees ist von Hügeln mit Olivenbäumen umgeben. Immer wieder werden sehr schöne Blicke auf den See frei. Einen wunderschönen Sonnenuntergang haben wir dann bei der kleinen Kirche SS. Annunziata erlebt, welche leicht auf einer Anhöhe über dem See liegt.
Der Gargano ist aber auch das Pilgerziel von sieben Millionen Menschen pro Jahr. Dort ist die Grabstätte von Padre Pio, das zweitmeist besuchte katholische Heiligtum. Padre Pio da Pietralcina, Kapuzinermönch und Priester, hat in San Giovanni Rotondo ein Krankenhaus bauen lassen, das Casa Sollievo della Sofferenza.
Mit 31 Jahren hatte er eine Erscheinung und fand sich mit Jesus-Wundmalen an Händen und Füßen wieder. Dies brachte die Leute dazu, ihm übernatürliche Kräfte zuzutrauen.
Neben der Kirche, in der er zu Lebzeiten die Pilger und Gläubigen empfing, wurde 2004 von dem italienischen Architekten Renzo Piano eine Wallfahrtsbasilika für 6.500 Personen innen und weiteren 30.000 davor errichtet. Renzo Piano ist uns aus Berlin bekannt, wo er am Potsdamer Platz gewirkt hat. Ansonsten besteht der Ort nur noch aus unzähligen Hotels und Souvenirshops. Und Parkplätzen für die ankommenden Menschenmassen. Aber gesehen haben muss man es einmal. Und der Weg dorthin ist auch ein sehr schöner, wobei es über Berge von bis zu 1.000 Metern Höhe geht mit Temperaturen von etwa 20 Grad. Angenehm, allerdings auch etwas schwül, denn an dieser Bergkette regnet es sich täglich einmal ab. Das Gewitter hören wir auch an der Küste, meistens gegen Mittag, wo es dann auch am Meer etwas bewölkter wird, allerdings nicht nass.
Ein weiteres Pilgerziel ist der Monte Sant’Angelo mit seinem Grottenheiligtum Santurario di San Michele, auch wiederum Weltkulturerbe. Ich fühle mich nun ein wenig an den Hamburger Michel erinnert, denn der Erzengel Michael begegnet uns an fast jeder Ecke.
Die Kirche, das älteste Heiligtum in Westeuropa, welches dem Erzengel Michael gewidmet ist, ist mitten in den Fels gebaut. Den ganzen Tag über werden für die Pilgernden Messen abgehalten. Direkt in der Nähe gibt es noch ein Castello und vor allem eine kleine Altstadt zu besichtigen. Die Häuser der Stadt sind originell, sie sehen aus wie spitzgiebelige Reihenhäuser und wurden bereits im 16. / 17. Jahrhundert gebaut. Auch die moderneren Häuser sind diesem Stil angepaßt.